Nichtstun macht nur Spaß, wenn man eigentlich viel zu tun hätte

„NICHTSTUN macht nur dann Spaß, wenn man eigentlich viel zu tun hätte.“ (Noél Coward)

Im September 1998 begann mein Ruhestand, oder sollte man eher sagen Unruhestand? Meine Kollegen bereiteten mir eine wunderbare Abschiedsveranstaltung, und ich bekam viele Abschiedsgeschenke. Eine Kollegin hatte auf eine Karte einen Zeitungsausschnitt geklebt, der einen Witz darstellte. Jemand, der in den Ruhestand verabschiedet wird, wird gefragt, was er denn nun vorhabe mit seinem Leben. Seine Antwort war: „ Im ersten Jahr sitze ich nur im Schaukelstuhl.“ „Und was machst du im zweiten Jahr?“ wird er weiter gefragt. „ Da fange ich an zu schaukeln!“ Dieses Zitat hatte ich in meine Abschiedsrede eingebaut mit dem Zusatz: „ Den Schaukelstuhl kaufe ich mir gleich morgen.“

Ich war so voller Vorfreude auf mein „drittes Leben“, dass ich mir wirklich vorgenommen hatte, erstmal keine Pläne zu machen, keine Termine und keine Verantwortung. Einfach nur das machen, was Spaß macht. Nach ein paar Monaten bekam ich einen Anruf von einer älteren Freundin, die in einer Schreibgruppe war. Sie meinte am Telefon: „ Ick habe jedacht, du kommst jleich zu uns schreiben?“ „Warum sollte ich?“ War meine Gegenfrage. „Oder willste lieber mit meiner Wandergruppe wandern kommen?“ War die nächste Frage.
„Nee, ich will nur im Schaukelstuhl sitzen.“ „Seit wann hast du denn nen Schaukelstuhl?“ „Habe ich ja nicht?“ „Und warum willst du im Schaukelstuhl sitzen, wenn du keenen hast?“

Meine Freundin Rese war damals 82 und verstand nicht, was mit mir los war. Immer hatte ich gesagt, dass alles, was sie im Ruhestand schon jahrelang unternahm, beneidenswert sei, und ich würde mich schon freuen, bald daran teilnehmen zu können, und nun wollte ich „im Schaukelstuhl sitzen“? Ich habe sie ja nicht gesehen beim Telefonieren, aber ich bin überzeugt, dass sie über mich den Kopf geschüttelt hat.

So kam ich in eine Schreibgruppe, weil ich ja keinen Schaukelstuhl hatte. Einen meiner ersten Texte schickte ich auf Anraten meiner Freunde an den WORTSPIEGEL
Das war zu Beginn des Jahres 1999. Das 11. Heft der Zeitschrift für Schreibgruppen und Schreibinteressierte veröffentliche meine Geschichte unter der Überschrift. „Die blauen Flecken im Leben”. (Übrigens erscheint im März das 57. Heft)
Kurz danach rief mich der Chefredakteur, Herr Reuter an, ob ich mir eine Mitarbeit in der Redaktion vorstellen könne? Nein, konnte ich nicht, wegen meines Schaukelstuhlsymdroms eben. Aber unverbindlich am Montag, also morgen, an einer Redaktionssitzung teilnehmen, das wäre ja wohl möglich. Das war möglich. Und das ist jetzt 13 Jahre her, die Chefredakteure haben gewechselt und auch Redaktionsmitglieder, und ich bin noch immer dabei
Und deshalb nicht zu meinem Schaukelstuhl gekommen.

Ich mag das Wort Ehren – Amt nicht. Es klingt hochtrabend und assoziiert nicht das, was wir eigentlich unter einer allgemeinnützigen freiwilligen Arbeit verstehen. Amt klingt nach Behörde und nach staatlicher Beteiligung. Doch diese Verbindung ist eher selten. Und Ehre? Also Wertschätzung und Hochachtung bleiben oft auch aus. Dennoch gibt es nicht nur in unserem Land, sondern ich denke europaweit, Menschen, die eine notwendige freiwillige Tätigkeit ausüben und das gern tun. Würden sie alle an einem Tag streiken, darf man sich die Folgen gar nicht ausmalen. Dabei denke ich gewiss nicht an die Redaktion des WORTSPIEGEL.
Das Wort „Freiwilligenarbeit gefällt mir besser als Ehrenamt.

Als ich beim WORTSPIEGEL anfing hatten wir Redaktionsmitglieder, denen es nicht leicht fiel, das Fahrgeld zur wöchentlichen Fahrt in die Redaktion zu bezahlen und andere, denen es schwer fiel aus gesundheitlichen Gründen den langen Weg zur Eberswalderstr. zu bewältigen, aber sie kamen. Ich war voller Bewunderung. Weit über 80 waren die Ältesten, und ich mit 61 fühlte mich noch sehr jung. Ich denke oft an diese wunderbaren Menschen aus Ost- und Westberlin, an ihre Aufbruchstimmung, ihren Humor und ihrer Klugheit. Ich habe von ihnen gelernt. Ist das alles wirklich schon 13 Jahre her?

Wenn Karl- Ernst Reuter, der Begründer der Zeitschrift, und sein Nachfolger Bernd Fierke auf ihrer Wolke 7 sehen könnte, was aus ihrer Zeitschrift geworden ist, ich bin sicher, sie wären stolz auf uns.

Diese Arbeit hat mir in meinem dritten Leben zu ganz besonderen Freundschaften verholfen, die mir sehr wertvoll sind und die die These, dass man Freundschaften im dritten Leben nicht mehr schließt, widerlegt hat.
Das Schreiben hat mich auch zu den Europaprojekten geführt. Und wenn ich heute mit Renata Caratelli aus Rom über E-Mails meine Gedanken austausche, dann bin ich dankbar und froh, dass die Möglichkeiten im dritten Leben grenzenlos erscheinen, auch zum Gewinnen von europäischen Freunden.

Erika Zacher/ Berlin, Februar 2011

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