Interview mit Herrn Johannes Kerner

Das Interview wurde von Bärbel und Rolf-Peter König, ViLE e.V. Deutschland, durchgeführt.

Im Rahmen unseres Projektes „tell me about your commitment“ haben wir Herrn Kerner, dem Leiter der ungarndeutschen Heimatstube in Langenau  und Vorstand der deutsch–ungarischen Landsmannschaft im Alb-Donau Kreis, interviewt.

Herr Kerner erklärte uns, dass das wesentliche Ziel der Pflege der Heimatstube, dem Erhalt der Erinnerung an das Leben deutscher Auswanderer in Ungarn ist. Er zeigte sich erfreut darüber, dass die Stadt Langenau inzwischen die Trägerschaft übernommen hat, denn sowohl die Renovierung der Wohnung mit fünf Zimmern in der sich die Heimatstuben befinden, als auch die Ausstattung und laufende Reparaturarbeiten würden doch Mittel erfordern, die er und seine Mitstreiter nicht aufbringen könnten. Deren Anzahl hat sich inzwischen von einstmals fünfzehn auf sieben reduziert, wobei ursprünglich die Gruppe ausschließlich aus Männern bestand, in der Zwischenzeit bestünde die Gruppe nur noch aus drei Männern und vier Frauen. Die übrigen seien entweder verstorben oder zu alt zur Mitarbeit. Das Durchschnittsalter der Gruppenmitglieder liegt zwischen siebzig und achtzig und alle gehören der sogenannten Erlebnisgeneration an, wie uns Herr Kerner erklärt, das sind die Menschen, die die Vertreibungssituation als Jugendliche bewusst erlebt haben und daher über die vormalige Heimat authentisch berichten könnten. Nur das, meint Herr Körner, macht für die Heimatstube auch Sinn.
Herr Kerner erläutert uns, dass es nach der Befreiung Ungarns von den Türken durch Anwerbung Österreich – Ungarns, der Kirche und ungarischer Gutsherren im 18. Jahrhundert drei große Auswanderungswellen deutscher Bürger in die von den Türken verwüsteten Gebiete gegeben habe.
Die Hauptursache dieser Auswanderungen waren die allgemeinen Verhältnisse wirtschaftlicher und sozialer Art, die  durch die andauernde Kriegsgefahr, die Kriegslasten, die Witterungs- und Ernteschäden  in den   süddeutschen Gebieten bestanden, was den österreichischen Werbern entgegenkam. Seine Ahnen stammen aus Hessen.“Da gibt es z.B. da wo ich herkomme vierzig Gemeinden, die nennt man die „Stifulden“. Das bedeutet, die vom Stift Fulda.“  Tonaufnahme 1   Sie hatten sich einst  aus Hessen auf den Weg nach Osten gemacht und seien in ein Gebiet eingewandert, das man später die „Schwäbische Türkei“, auch „Klein Hessen“ nannte.
Allerdings, so erklärt uns Herr Kerner, sei die Auswanderung nicht einfach gewesen, sondern war an verschiedene Bedingungen geknüpft. Die Auswanderungswilligen mussten z.B. nachweisen, dass sie über ein Vermögen von mindestens 200 Gulden  und über persönliche Freiheit verfügten, was nicht selbstverständlich war, denn die meisten dieser Menschen waren Leibeigene und mussten oft ihr ganzes Hab und Gut veräußern, um sich vom Fürsten ihre Freiheit zu erkaufen. Und doch konnte nicht jeder die Auswanderung beantragen, denn für die österreichischen Werber war bei der Auswahl der Siedlungswilligen die Religionszugehörigkeit wichtiger als die Volkszugehörigkeit, so dass zunächst nur Katholiken auswandern konnten. Andererseits gelang es später auch evangelischen Auswanderungswilligen, in diesen Gebieten zu siedeln, indem sie sich nämlich von ungarischen Privatgrundbesitzern anwerben ließen und bei diesen sogar noch bessere Bedingungen vorfanden. Wer bei der Auswahl erfolgreich war, erhielt dann auch ganz gute Startbedingungen. So waren die bäuerlichen Siedler drei Jahre abgabefrei, erhielten Grund und Boden, Holz für den Hausbau, haus- und landwirtschaftliches Gerät und Haustiere und es wurde ihnen die dauerhafte Aufhebung der Leibeigenschaft zugesichert . Die Reise erfolgte meist auf „Ulmer Schachteln“ die Donau hinab.
Herr Kerner sagt: „Aber das war nicht so, wie die dort unten angekommen sind. Ich kann mich erinnern als Kind, da war ein Schlossberg. Da muss vor vielen Jahren ein Schloss gewesen sein. Aber jetzt waren da Löcher eingegraben. Da haben die alten Leute immer gesagt, da hätten mal Leute darin gewohnt. Aber jetzt kann ich mir das vorstellen. Die sind gekommen und da war nichts. Es waren ja keine Häuser da. Dann  haben sie so langsam Häuser gebaut.“  Tonaufnahme 2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So entstand in den verwüsteten Gebieten wieder allmählich eine Kulturlandschaft. Das Dorf, in dem Herr Kerner lebte heißt Mariakemend.
Laut Volkszählung lebten 1941 rund 720.000 Deutsche in Ungarn im sogenannten Schwabenring. Nach 200 Jahren wurden die Ungarndeutschen wieder aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Nachkommen fast auf dem gleichen Weg, nur in umgekehrter Richtung in die Herkunftsgebiete ihrer Vorfahren auf teilweise abenteuerliche und schreckliche Weise zurückgeschickt.
Auf die Frage, worin  seine Arbeit hier in Langenau für die Heimatstube bestehe, erfahren wir von Herrn Kerner, dass es in erster Linie um die Präsentation und Pflege der vielfältigen Exponate des Museums gehe. Früher habe man noch gesammelt. Er erzählt uns, dass sie vor Jahren auch mit Lastwagen in Ungarn unterwegs gewesen seien. Der Gesangverein von Lanagenau habe 150jähriges Jubiläum gehabt und dazu sei ein ungarischer Gesangverein eingeladen gewesen.
Nach der Besichtigung der Heimatstube beschloss die Gruppe spontan dafür in der ehemaligen Heimat Ausstellungsstücke zu sammeln.
Das hätten die dann auch  gemacht, aber man habe dann die Stücke auch abholen müssen. Das sei gar nicht so einfach gewesen. Man habe die Sachen ja nicht so einfach mitnehmen können. Man habe ja eine Ausfuhrgenehmigung gebraucht. Deshalb hätten sie alle Stücke auseinandergenommen. Sie seien damit nach Budapest gefahren und eine Frau habe die Fuhre begutachten müssen. Nachdem sie die Teile hätte nicht einordnen können, habe sie nach einigem Zögern die Ausfuhrgenehmigung unterschrieben. Wenn sie diese Genehmigung nicht auf diese  unbürokratische Weise erteilt hätte, hätten sie wahrscheinlich für die Ausfuhr bezahlen müssen. „Wir hatten Glück.“
Viele andere Dinge hätten er und andere aus dem Ungarn-Urlaub mitgebracht.
Es habe sich die Frage gestellt, wohin mit den Dingen. Nachdem in Langenau ein Neubau für das Gymnasium errichtet worden war, und die Räume im Haus am Pfleghof leer gestanden hätten, hätten er und seine Mitstreiter die Räume für die Heimatstuben einfach besetzt.
In dieser Zeit habe man natürlich sehr viel Eigenarbeit in die Renovierung der Räumlichkeiten, die Herstellung der Einrichtungsgegenstände, Tische, Vitrinen usw., das Präparieren von Exponaten, z.B. Puppen für die Trachten, was oft Wochen in Anspruch genommen habe, sowie Geld für die Materialien investieren müssen. Aber auch da Beschreiben, Fotografieren und Inventarisieren der Ausstellungsstücke sei sehr zeitaufwendig gewesen. Auf die Frage, seit wann er diese Arbeit schon mache, bekommen wir eine präzise Antwort: Seit dem 30. Mai 1981.
Eines Tages habe der ehemalige Bürgermeister die Ausstellung besichtigt und ohne Diskussionen großzügig die Schirmherrschaft und die weitere finanzielle Ausstattung übernommen und zur Renovierung der Räumlichkeiten aufgefordert. Dadurch hätten sie seither keine Probleme mehr.
Auf die Frage nach früheren Problemen nannte Herr Kerner als Hauptproblem die Nachwuchssorgen. Die Gruppe der Ungarndeutschen in Langenau umfasst  etwa 400 Personen, aber die jungen Leute würden sich meistens nicht für die Tradition ihrer Vorfahren interessieren. Daher sei das Interesse an den Heimatstuben sehr unterschiedlich. Bei Sonderausstellungen habe man aber schon über 700 Besucher an einem Tag gezählt.
Auf die Frage nach besonderen Highlights erzählte Herr Kerner, dass es schon vorgekommen sei, dass junge Leute beim Besuch der Heimatstuben plötzlich Interesse an der Geschichte ihrer Vorfahren entwickelt und entsprechend nachgefragt hätten. Einmal sei eine Frau gekommen, die plötzlich im Alter das Bedürfnis hatte, ihren Enkeln die Geschichte ihrer Vorfahren zu erzählen. Aber es kämen auch immer wieder Einheimische, die sich für die Ergebnisse ihrer Arbeit interessierten und das sei sehr erfreulich.
„Es gibt Leute, die rennen durch und sind in fünf Minuten fertig. Aber es gibt auch Leute, die sind zwei Stunden da. Die wollen etwas wissen. Und das ist ja für uns, wenn wir hier sind, besser, wenn jemand Interesse hat. Du willst den Leuten ja auch sagen, wie das da unten war.“ Tonaufnahme 3 Es sei besonders erfreulich, wenn man nach seinen Erfahrungen und Erlebnisse gefragt würde und man seine Erinnerungen an das Leben damals weitergeben könne.
„Da sind Bilder von dem Professor Hartung, der war aus Leipzig. Der ist als junger Student damals in den zwanziger Jahren da runter gekommen. Der hat 10 000 Bilder gemacht. Alles von den Deutschen. Da hat niemand mehr gewusst, dass da unten Deutsche sind. Der ist da unten geblieben, bis der Krieg aus war.“ Tonaufnahme 4
Herrn  Kerner nach dem Grund gefragt, warum er so viel Zeit in diese Arbeit investiere, erhalten wir zur Antwort: „Mein größtes Hobby sind die Ungarndeutschen. Ich habe schon viel Geld dafür ausgegeben und das interessiert mich. Und dass man das weitergeben kann, dass man da unten auch eine Kultur gehabt hat.“ (Video Herr Kerner)
Und weiter erklärt uns Herr Kerner, dass sie dokumentieren wollen, dass und wie die Donauschwaben in Ungarn gelebt haben und dass dies auch in Erinnerung bleibt, wenn in fünfzig oder mehr Jahren kein Zeitzeuge mehr davon berichten kann.
Voller Stolz und Genugtuung führte uns Herr Kerner anschließend durch „sein“ Museum und zeigte uns all seine Schätze und die liebevoll drapierten Ausstellungsstücke, angefangen bei den schriftlichen Dokumenten aus der Zeit der Anwerbung bis hin zu Geräten für Haus und Hof, den Einrichtungsgegenständen und den schönen alten Trachten aus jener Zeit.


 

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