Meine Erfahrungen sind guter Art

Barbara Keller, VHS Wien

Was ist/war meine berufliche Tätigkeit? Was ist meine ehrenamtliche Tätigkeit?

Bis zu meiner Pensionierung im Jahr 2004 war ich Lehrerin für Deutsch und Geschichte seit 1971 an einer berufsbildenden Schule in Wien. 2004 fragte ich dann in einem Seniorenheim in meiner Nähe, ob man mich als Vorleserin brauchen könne. Tatsächlich habe ich dort seither eine Gruppe, in der ich Bücher vorlese, bespreche, also eine Literaturgruppe; und eine andere, in der wir Französisch sprechen. Wir treffen uns regelmäßig alle 14 Tage.
Daneben nehme ich Teil an einer Diskussionsrunde, die sich etwa alle drei Wochen trifft. Außerdem helfe ich manchmal mit bei Geburtstagsfeiern, Flohmarkt etc, die im Heim veranstaltet werden. Ein Jahr lang habe ich eine alte Dame begleitet, also Besuchsdienst gemacht, bis zu ihrem Tod. In den ersten beiden Jahren habe ich im Kindergarten, der im Heim untergebracht ist, vorgelesen, jede Woche einmal.
Seit 2007 betreue ich als “Patin” einen (damals) unbegleiteten minderjährigen Flüchtling aus Afghanistan, der inzwischen Asyl erhalten hat. Wir treffen uns etwa jede Woche einmal, telefonieren häufig, ich unterstütze ihn auch finanziell.

Was hat mich motiviert, freiwillige Arbeit zu übernehmen?
Da ich nicht verheiratet bin und auch keine Kinder – und daher keine eigene Familie habe, habe ich natürlich desto mehr Zeit.
Das ist einer der Gründe, freiwillige Arbeit zu machen.
Auch will ich meine “Talente” nicht einfach ruhen lassen.
Der Kontakt zu anderen Menschen ist ein gewichtiger Grund.
Mein Tag sollte eine Struktur haben.
Nachhilfeunterricht, überhaupt Unterricht wollte ich nicht mehr geben.
Auch wollte ich nicht zu einer “Seniorenreisenden” werden oder Zeit und Geld in irgend welche Besitzgüter investieren.
Für die Übernahme einer Patenschaft waren politische Gründe ausschlaggebend.

Was hat freiwillige Arbeit in meinem Leben/in meiner persönlichen Sicht der Dinge verändert?
Da sich mit meiner Pensionierung alles in meinem Leben verändert hat, kann ich diese Frage nicht genau beantworten. Vielleicht: ein Zuwachs an eigenbestimmter Tätigkeit.

Was sind meine Erfahrungen mit ehrenamtlicher Tätigkeit? Kurze Beispiele guter oder auch schlechter/enttäuschender Erfahrungen.
Meine Erfahrungen sind guter Art. Bis jetzt – es sind inzwischen sieben Jahre – ist es mir nicht leid geworden. im Gegenteil, ich habe viele Ideen.
Eine Schwierigkeit hat sich im Heim gezeigt: die Schwestern der Bettenstation empfanden zuerst so etwas wie Eifersucht gegenüber uns ehrenamtlich Tätigen (denn wir sind dort mehrere); als würden wir uns die Rosinen heraus picken. Und auf unserer Seite gab es auch viel Unverständnis und Unkenntnis über die Arbeitsabläufe und – zwänge im Heim.
Aber diese Anfangsprobleme sind nun überwunden und jede Seite hat ihre Position (neu) bestimmt und gefunden.

Wenn ich andere Menschen zu freiwilliger Arbeit ermuntern wollte, welche eigenen Erfahrungen würde ich mitteilen?
Ich würde vom Zugewinn sprechen, den man erfährt: Menschen kennen lernen, Zuwendung geben und erfahren können, seine Erfahrungen weiter geben und ausweiten können, etwas “Sinnvolles” tun, etwas bewegen, verändern können (zum Besseren). Das alles gilt wohl auch für Ehrenamtliche, die noch im Berufsleben stehen oder eine Familie haben.
Für Menschen wie mich ist wichtig: nicht allein sein, Kontakte anknüpfen, neue Kontakte, dem Tag eine Struktur geben, selber wichtig sein.

Kann ich in meiner freiwilligen Arbeit Wissen oder Talente nutzen, die ich in meinem Beruf nicht einbringen kann oder konnte? Was ist meine ganz persönliche Befriedigung, die mir durch freiwillige Arbeit zuteil wird?
Da ich auch in meinem Beruf mit Menschen zu tun hatte, glaube ich dort alle Talente etc eingebracht zu haben, die ich auch jetzt einbringe. Mit Ausnahme vielleicht des Umstands, dass ich nun ganz eigenverantwortlich handle.
Aus dem Gesagten geht sicher hervor, dass ich mit meiner Tätigkeit nicht nur allgemein, sondern ganz persönlich zufrieden bin. Ich bin auch stolz darauf, es jetzt schon sieben Jahre durchzuhalten, ohne einen anderen Druck als den, den ich mir selber mache !

Wien 2011

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