Beispiele aus dem Workshop “Kreatives Schreiben” in Wien

Wiener Walzer – Welche Wörter fallen mir dazu ein

Von Mana Hazlett*

Reifröcke, Tanzen, Bänder, Glitzer, große Ballsäle, Petticoats und Polka

Als ich im Gymnasium war, mussten wir Tanzkurse absolvieren. Es geschah immer unmittelbar vor Weihnachten und hieß Vorbereitung auf den Großen Schultanz, der im Großen Saal stattfand. Alle Menschen erwarteten das Ereignis mit großer Freude, nur ich nicht, denn ich war schüchtern.

Wir übten den Kanadischen Barn Tanz, Gay Gordon’s und Walzer nach alten Grammophon-Aufnahmen. Aber für den Abend wurde eine Band engagiert. Viele Leute in Oban spielten Akkordeon, und so war normalerweise mindestens ein Akkordeon in der Band.

Ein Teil meines Problems bestand darin, dass ich nicht wusste, was ich anziehen sollte. Ich war jedoch einmal Brautjungfer bei der Hochzeit meines Cousins, und so sagte meine Tante, dass ich doch jenes Kleid wieder tragen könnte. Alle anderen Mädchen hatten viel modernere Kleider. Als ich meinen Duffel Coat im Umkleideraum der vierten Mädchenklasse auszog und den Sound der Band hörte, die sich gerade einspielte, fühlte ich mich plötzlich fürchterlich gehemmt. Ich fiel entsetzlich auf. Alle anderen waren so modern, und hier stand ich, fast wie eine Reifrock-Dame, glitzernd und viele Petticoats, nun ja, ein bisschen fantasievoller vielleicht.

Ich hatte Angst davor, dass keiner der Jungs mit mir tanzen wollte. Aber dann kam einer der wunderbarsten Momente in meinem Leben, denn als wir uns in dem Saal versammelten und der Zeremonienmeister verkündete: „Meine Damen und Herren! Wählen Sie Ihren Partner für den ersten Tanz, den Wiener Walzer“, lief Hugh McLean, der tollste Junge der Schule, 1.84 groß und ein wahrer Herzensbrecher, quer über den Saal direkt auf mich zu und nahm mich in seinen Arm. Er tanzte drei wundervolle Minuten mit mir. Meine Petticoats hatten kaum Pause, sie drehten sich und wippten die ganze Nacht, da alle anderen Jungs Hughs Beispiel folgten und mich immer wieder zum Tanz aufforderten. Vielleicht tat ich ihm ein wenig leid, weil ich so anders war, aber ich fühlte mich im siebenten Himmel und liebe seitdem den Klang der Walzermusik.

*Mana Hazlett lebt in Glasgow. Im Workshop Kreatives Schreiben, das im Rahmen des Europaprojektes tellme im Mai 2011 in Wien stattfand, schrieb sie zum Thema: „Was fällt ihnen spontan zum Thema Wien und die Musik ein“ diesen Beitrag.

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„Wien und die Musik“

Von Angelika Sackmann*

„Wien, Wien, nur ich allein,“, wienerschmähte es mir durch den Kopf, während ich über die Sprünge im Pflaster hüpfte. Meine nicht vorhandene Krinoline wippte lüsterartig um meine Hüften. Eine uralte Sissi, die Wienerballett durch die Annagasse tanzte- ohne Begleitung eines Stehgeigers. So hatte ich mir die Donaumonarchie nicht vorgestellt. Als ich am Kaffee Sacher vorbeikam, stellte sich mir eine Donauwelle in den Weg. Nur mit Lizst und Tücke konnte ich ohne Verzehr taktieren und durch die Gassen in Richtung Prater ausweichen. Dort angekommen ließ ich mich auf eine Parkbank fallen und von Sonnenstrahlen aus flüssigen Mozartkugeln bombardieren. So ein Schmalzregen aus lauter Kinderliedern.

*Angelika Sackmann lebt in Ulm und war auch Teilnehmerin des Europatreffens tellme zum Ehrenamt im Mai 2011

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Und die Haare werden zu Berge stehen!

Margrit Pawloff*

Nicht sogleich und nicht alle auf einmal, aber die Ausgebeulten werden sich noch glätten! Abwarten

Verzaubert stieg sie aus dem Flieger, atmete die Wiener Luft, schnupperte den feinen Kaffeehausduft und bewegte sich wie im Walzertakt. Sie erinnerte sich an Schani. So nannten ihn seine Freunde. Der Name Johann Baptist Strauss (Sohn) war für den Walzerkönig viel zu lang und gar nicht melodisch. Er hat nicht nur diese Stadt, sondern auch sie verzaubert. Ihr erster Besuch galt seinem güldenen Denkmal im Stadtpark. Tief verneigt sie sich und legt ihm eine Rose zu Füßen. Und sie denkt daran, dass er durch seine Kunst die Welt besser gemacht hat. Allein mit seinen 150 Walzern gehen die Stühle aus dem Leim und biegen sich die Balken. Wenn das Volk singt und Polka tanzt hat es keine Lust auf Waffengeklirr und Säbelrasseln. Er zwinkert ihr verschwörerisch zu und spricht mit seinem wienerischen Operettendialekt, „ach geh, das ist es nicht allein“. Wie elektrisiert setzt sie sich seinen Füßen und hört die Geschichte seiner Musik. Sein Großvater war getaufter Jud. Also sollte Schani, schon lange verstorben, nach den NS-Gesetzen Achteljude sein. Seit 1939 gibt es die Neujahrskonzerte im Wiener Musikverein. Goebbels selbst hat veranlasst, dass die Trauungsurkunde des Großvaters Johann Michael Strauss verbracht und durch eine Fälschung ersetzt wurde und verboten, dass ruchbar würde, dass der deutsche Walzerkönig ein Achteljude sei. Wer sei denn deutscher als der Sohn des Radetzkymarsch-Komponisten!? Da könnte doch gleich das Bett durchs Sofa hängen! Also alles ging so weiter, Johann blieb der Walzerkönig und spielte durch alle Reichssender und die Namen der jüdischen Librettisten wurden einfach nicht genannt…

Still und stumm geht sie ihres Weges, ihr Schritt wird schwer und schwerer.

Sie läuft die Allee entlang und erblickt ihn mit dem vollen Haarschopf und dem faszinierenden Bart. Ob ihm die Haare lange zu Berge stehen werden? Er hat gut daran getan, diese Zeit nicht zu erleben. Und der Herrgott wollte nicht, dass er Kinder hatte, die das erleben sollten. Lässig schlendert Majestät mit der nächsten Melodie im Kopf und denkt, ein Schmäh, alles Ausgebeulte wird sich glätten und die Möbel richten sich stolz auf.

Meine Musik bleibt und übersteht alle Zeiten.

Und vielleicht wird der Donauwalzer eines Tages unsere Nationalhymne. Wer weiß …

Margrit Pawloff, lebt in Berlin und hat auch an dem Treffen in Wien teilgenommen.

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