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Wert der Innerlichkeit

Kurt Flasch
emeritierter Professor für Philosophie an der Ruhr Universität Bochum

Seiten 219 - 236

Moderation: Uwe Bartholl

Die Zusammenfassung dieses Kapitels und Fragen zum Thema wurden von Uwe Bartholl verfasst. Sie dienen als Grundlage für die Diskussion im Forum.

Kurt Flasch, der sich umfassend mit der Geschichte des philosophischen Denkens von 400 bis 1600 befasst hat, führt uns an diesen Ort und lässt uns Anschauungen gewinnen über Innerlichkeit, wie Denker es sahen und sehen. Breiten Raum nimmt eine Predigt von Meister Eckhart (1260) über Lukas 10,38 - 42 "Maria und Martha" ein, an der Innerlichkeit - Äußerlichkeit (Welt der Dinge) diskutiert wird. Flasch sieht die Notwendigkeit, bei den Anfängen vom Bewusstsein der Innerlichkeit anzusetzen darin, dass der Wert der Innerlichkeit und das Wissen um den notwendigen Diskurs heute zu verschwinden droht oder aber in abstrakt-einseitige Reaktionen der Freunde der Innerlichkeit mündet. Das Nachdenken über den Wert der Innerlichkeit als Kernthema für das Nachdenken der Werte in den Kulturen wird vorgeführt. Hier geht es jedoch um die kulturellen Werte Europas, und eine Innerlichkeit, die in europäischer Denktradition wurzelt. Für Augustinus (354) wohnt die Wahrheit im Inneren des Menschen. Sie ist jedoch ständig bedroht von der Attraktivität des Äußeren in Zerstreuung und Vielgeschäftigkeit, wobei die Menschen sich selbst vergessen. Ein Sprung in die Romantik zeigt, wie sehr diese Bedrohung zu einer sehnsuchtsvollen Hinwendung zur Innerlichkeit führt. Diese hatte sich vom christlichen Zielpunkt abgelöst und wurde als autonomer Wert entdeckt. Ebenso aber wurde dessen Ergänzungsbedürftigkeit erkannt, die in einen Prozess der Reflexion über Innerlichkeit mündet. Das sieht Flasch als eine Leistung der europäischen Philosophie. Diese und damit den Prozess will Flasch im Bewusstsein lebendig erhalten.

Bei Sokrates (470v.Chr.) findet Flasch den energischen Aufruf zum Weg nach Innen, der Seele als dem Ort der Einsichten. Hier allein ist die Erkenntnis für rechtes Handeln zu gewinnen. Während Sokrates das Wohl der Polis im Blick hat, hat Augustin zunächst die gesamte sinnliche Welt im Blick, für die er im Inneren die gültigen Kriterien zur Beurteilung findet. Es geht um das Erfassen allgemeiner Normen. Flasch: Nur im Innern gewinnen wir, Augustin zufolge, einen intellektualisierten Begriff von Wirklichkeit, damit vom inneren Menschen und dadurch von Gott. Später (397) drängt sich die individuelle Gewissenserforschung vor, die die christliche Seelenkonzeption bestimmte. Mit den Klöstern entstanden Institutionen, wo dieser Weg der Seelenläuterung mit Anleitung zur Erkenntnis der Sünden, Buße und Kontemplation beschritten wurde. Die Welt der Verderbtheit blieb draußen.

Das Urbild der beiden Lebensformen Innenwendung - Außenwendung ist mit den Schwestern Maria und Martha im Lukasevangelium gezeichnet. Flasch bedient sich der Predigt von Meister Eckhart, um zu klären, was denn nun der gute Teil ist, die Konzentration auf das Seelenheil (Maria) oder das Wirken nach außen (Martha). Bei Lukas scheint das klar zu sein: Maria hat mit ihrer uneingeschränkten Konzentration auf das, was Jesus zu sagen hat, gegenüber Martha, die geschäftig um den Gast besorgt war, das gut Teil erwählt. Das stellt Eckhart auf den Kopf: Martha hat eine höhere Stufe der Vollkommenheit erreicht als Maria. Doch Maria wird wie Martha werden, sie wird über das Stadium der reinen Innerlichkeit hinauskommen. So sei das Lob Jesu Maria gegenüber zu werten. Wer sich nur ins Innere versenkt kann nicht wesentlich leben. Maria wird ein neues Bewusstsein von Innen und Außen gewinnen.

Flasch: Das wirklich weise Leben besteht nicht in kontemplativem Genuss, sondern in der Hinordnung des äußeren Wirkens auf das Beste, das wir wissen, das die Liebe fordert.

Im Résume heißt es: Es gibt nicht das identische Problem Innen - Außen; es gibt nur geschichtlich-intellektuelle Prozesse, die wir nachträglich zur Einheit eines Problems verknoten. Dem Inneren, das sich in dem Gegensatz zum Äußeren versteift, fehlt die Kraft zur Entäußerung, zum Wirken auf das Beste hin. Martha hat diese Differenz überwunden, Maria noch nicht.

Zur Diskussion

  1. Innerlichkeit, ein schillernder Begriff. Versuche, ihn aus individueller Sicht zu beschreiben.
  2. Der Gang nach Innen, notwendige Voraussetzung zur Gewinnung von Wertvorstellungen und dazu, diese zu leben?
  3. In wie weit ist hier mit der Auslegung der Geschichte von Maria und Martha eine Deutung erfolgt, die zweckbestimmt der einseitigen Hinwendung zur Innerlichkeit eine Absage erteilt?